Aus dem Theoblog: Musste Jesus sterben?

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Am kommenden Wochenende werde ich am ITG-Studienzentrum in Innsbruck über das christliche Sühneverständnis sprechen. Das Thema wird heute kontrovers diskutiert. Besonders der Gedanke eines stellvertretenden Sühneopfers wird häufig bestritten. Schon 1986 schrieb John Stott in seinem wahrscheinlich wichtigsten Buch Das Kreuz: „Keine Begriffe des theologischen Wortschatzes rund um das Kreuz haben mehr Kritik hervorgerufen, als ‚Genugtuung‘ und ‚Stellvertretung‘.“

Während wir daran gewöhnt sind, davon zu sprechen, dass Gott Jesus von den Toten auferweckt hat (vgl. Apg 4,10; 5,30), macht es uns gewisse Schwierigkeiten, zu akzeptieren, dass die Kreuzigung ebenso Gottes Bestimmung war. Dabei spricht die Bibel durchaus davon, dass in der Kreuzigung Gott seinen Sohn in den Tod gegeben hat und er sterben musste. Während wir auf der einen Seite daran festhalten, dass die Menschen durch ihre Sünde den unschuldigen Sohn ans Kreuz gebracht haben und Jesus sich freiwillig hingab, halten wir Golgatha zugleich für eine Heilstat Gottes.

Einige Beispieltexte:

Ein sehr starker Text ist Röm 8,32:

„Er [Gott, vgl. V. 31], der seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern für uns alle dahingegeben hat, wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?“

Apg 2,23 spricht davon, dass Jesus von Nazaret gemäß Gottes „unumstößlichem Ratschluss“ (griech. ὡρισμένῃ βουλῇ, ōrysmenē boulē) getötet werden musste. Jesus starb folglich, weil Gott es so geplant hat. In Apg 2,22–24 lesen wir:

„Israeliten, hört diese Worte: Jesus von Nazareth, einen Mann, der sich vor euch als Gesandter Gottes ausgewiesen hat durch machtvolle Taten und Wunder und Zeichen, die Gott – wie ihr selbst wisst – mitten unter euch durch ihn getan hat, ihn, der nach Gottes unumstößlichem Ratschluss und nach seiner Voraussicht preisgegeben werden sollte, habt ihr durch die Hand gesetzloser Menschen ans Kreuz geschlagen und getötet. Ihn hat Gott auferweckt und aus den Wehen des Todes befreit, denn dass er in dessen Gewalt bleiben könnte, war ja unmöglich.“

In Apg 4,28 erklärt gemäß dem lukanischen Bericht die Gemeinde in einem gemeinsamen Gebet, dass Herodes und Pontius Pilatus zusammen mit den Heiden und dem Volk Israel getan haben, was Gottes Hand und „Ratschluss zuvor bestimmt hatte, damit es geschehen sollte“. Auch die Leidensankündigungen in den Evangelien sprechen davon, dass Jesus leiden musste. In Mk 8,31 schreibt der Evangelist über Jesus:

„Und er begann sie zu lehren: Der Menschensohn muss vieles erleiden und von den Ältesten und den Hohen Priestern und den Schriftgelehrten verworfen und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen.“

Markus gebraucht für das „Muss“ seines Totes das griechische δεῖ (dei), welches eine Notwendigkeit bezeichnet. Das Verbum steht für eine göttliche, unabwendbare Bestimmung (vgl. Bauer, WB6, Sp. 343 u. EWNT, Bd. 1, Sp. 668–671; siehe auch die Untersuchung: W. J. Bennett, „The son of man must …“, in: Novum Testamentum 17 (1975), Nr. 2, S. 113–129). In den dann folgenden Leidensankündigungen gebraucht Markus das passivum divinum und drückt damit aus, dass Jesus von Gott dahingeben wurde (vgl. Mk 9,31; 10,33).

Bei Lukas ist die Rede von der Notwendigkeit des Leidens und Sterbens Jesus ebenfalls zu finden. Bevor der Menschensohn wiederkommt, „muss [griech. δεῖ, dei] er viel leiden und verworfen werden von diesem Geschlecht“ (Lk 17,25). „Der Menschensohn muss [griech. δεῖ, dei]“ – lesen wir in Lk 24,7 – „in die Hände von sündigen Menschen ausgeliefert und gekreuzigt werden und am dritten Tag auferstehen.“

Im Johannesevangelium ist ähnlich von einem „Muss“ des Erhöhtwerdens des Menschensohnes die Rede. Joh 3,13–15 sagt beispielsweise:

„Und niemand ist in den Himmel hinaufgestiegen außer dem, der aus dem Himmel herabgestiegen ist, der Menschensohn. Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss [griech. δεῖ, dei] der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der glaubt, in ihm ewiges Leben hat.“