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Jesus Christus, das Lamm Gottes

He smote all the first-born of Egypt, the chief of all their strength. (Psalm 105)
– Georg Friedrich Händel, ISRAEL IN EGYPT (1739), Part I, Chorus

Worthy is the Lamb that was slain to receive power, and riches, and wisdom, and strength, and honour, and glory, and blessing. (Revelation 5)
– Georg Friedrich Händel, MESSIAH (1742), Part III, Chorus

Einmal im Jahr zu einer bestimmten Zeit sollte jede Familie in Israel ein junges Lamm schlachten, um eines ganz besonderen Ereignisses beim Auszug aus Ägypten zu gedenken: Der Tod der Erstgeburt. In jener Nacht war in Ägypten kein Haus, worin nicht ein Toter war – von dem Erstgeborenen des Pharao, der auf seinem Thron saß, bis zum Erstgeborenen des Gefangenen, der im Kerker war, und alle Erstgeburt des Viehes. Nur die Israeliten blieben verschont, die in ihren Häusern das Lamm wie von Gott angeordnet schlachteten und aßen. Sieht Gott das Blut des Lammes an den Türpfosten des Hauses, wird er an dem Haus vorübergehen. Anstelle der Erstgeborenen Israeliten starb das Lamm.

The death of the first-born (1872), L. Alma-Tadema. Amsterdam, Rijksmuseum (von AKG Images)

Der holländische Künstler Lawrence Alma Tadema (1836-1912) hat auf großartige Weise eine Perspektive auf dieses Ereignis in seinem Gemälde eingefangen. Sein Werk, beeinflußt vom neuen Orientalismus, entstand in einer Zeit als ganz Europa von einer wahren Ägyptomanie erfasst war. Der Ägyptenfeldzug Napolens (1798-1801) löste eine Welle der Faszination für den vorderen Orient aus, die sich in Literatur, Kunst und Wissenschaften niederschlug. Mehrere hundert Zivilisten begleiteten die französische Armee, darunter viele Mathematiker, Ingenieure, Naturforscher und Künstler.

Die Begeisterung für die kontinentübergreifende geografische Region fand ihren Widerhall nicht nur in neuen Forschungsgebieten wie Ethnographie und Anthropologie, sondern auch in Kunst und Musik. In dieser Zeit des wieder aufgeflammten Interesses an der Epoche der Pharaonen entdeckte Felix Mendelssohn Bartholdy in London Händels Partitur des Werkes Israel in Egypt und brachte es zur Wiederaufführung in Deutschland. Künstler des Akademischen Realismus (17.-19. Jh.) waren bestrebt historische Motive und Landschaften, die aus der Bibel bekannt waren und die man seit der Zeit Jesu Christi als unverändert annahm, realistischer darzustellen. Verglichen damit war die Zielsetzung und der Ausdruck der Werke der früheren Kunstepoche, der Renaissance (14.-17. Jh.), etwas anders gelagert. Damals verliehen Künstler den Landschaften und Personen der Bibel ein zeitgenössisches europäisches Antlitz und setzten konkrete Naturvorgaben mit künstlerischer Freiheit um. Auf manchen Gemälden, Landschaftsaquarellen und Flügelaltären sind geografische Orte zu erkennen, die man bereisen kann und Personen, die tatsächlich gelebt haben. Das können wir an einigen Werken studieren, die in der Alten Pinakothek in München ausgestellt sind.

“Ecce agnus dei” (um 1462/64), Dieric Bouts d. Ä. (1410‐1475). Alte Pinakothek, München

Den Auftraggeber des Bildnisses Ecce Agnus Dei sehen wir am Flußufer kniend und die Hände gefaltet auf die Person am anderen Flußufer blicken. Bezugspunkt dieser Darstellung ist die biblische Geschichte von einem Menschen, der von Gott zum Zeugnis gesandt ist, sein Name Johannes. Hinblickend auf Jesus spricht er: Siehe, das Lamm Gottes! Im Bild steht hinter dem knienden Jünger Johannes der Täufer, der auf Jesus Christus deutet. Es ist das Werk eines niederländischen Malers im Stil der Imitatio Christi, ein zentraler Gedanke der Devotio moderna im 15. Jahrhundert, einer spätmittelalterlichen Frömmigkeitsbewegung, die von den Niederlanden ausging. Der Auftraggeber ließ sich vom Maler als ein Nachfolger Jesu Christi darstellen.

Johannes der Täufer (um 1467-1468), Dieric Bouts d. Ä. (1410‐1475). Alte Pinakothek, München

Ein anderes Bild desselben niederländischen Meisters zeigt Johannes den Täufer im Morgenlicht in eine malerische Felsenschlucht hineingestellt, im Hintergrund sehen wir eine befestigte Stadt. Johannes weist auf Jesus hin: „Siehe das Lamm Gottes“. Das Zeitliche und örtliche verbindet sich in dieser Darstellung mit dem Überzeitlichen der biblischen Handlung. Es ist die Innenseite des linken Flügels des Triptychons Die Perle von Brabant, das einst vermutlich der Privatandacht gedient hat.
Auf anderen Gemälden entdeckt man ein Selbstbildnis des Malers. Rembrandt (1606‐1669) beispielsweise stellte sich in Kreuzaufrichtung und Kreuzabnahme selbst dar. In Kreuzaufrichtung sehen wir mitten im Bild den Mann mit der Baskenmütze. Es ist Rembrandt, der mit dieser Darstellung bezeugt, dass er selbst etwas mit der Kreuzigung Jesu zu tun hat. Er lebte in der Zeit der Reformation und war als Christ der Überzeugung, dass seine Sünden Jesus Christus ans Kreuz brachten.

Was hat das alles miteinander zu tun?
Im Zentrum des christlichen Glaubens steht die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus, seine Kreuzigung und Auferstehung. Christen meinen denselben Gott zu verehren, der schon zu den Menschen im Alten Testament sprach.
Das Gericht Gottes an der Erstgeburt Ägyptens ist ein Vorbild auf Jesus Christus, der „Erstgeborene aller Schöpfung“ – er ist vor allen und hat in allem den Vorrang (was seine universelle Rangstellung andeutet). Er ist der „Erstling der Entschlafenen“ – aller, die zum neuen Leben auferweckt werden (eine zeitliche Ordnung andeutend).
Die Gnade Gottes an den Israeliten mit dem Blut des Lammes an ihren Türpfosten ist ein Vorbild auf Jesus Christus, das Lamm Gottes – ein vollkommenes Opfer für die Sünden. Jesus Christus ist die Erfüllung dieses Bildes. Der Gerechte stirbt für die Ungerechten. An Karfreitag wird daran gedacht, dass Jesus für die Sünden des Volkes gekreuzigt wurde und drei Tage später von den Toten auferstand. Das war möglich, weil er Gott und Mensch zugleich ist. Als Gott ist er ohne Sünde, vollkommen, heilig und deshalb überhaupt fähig für die sündige menschliche Natur, die er als Mensch verkörpert, ein Opfer zu bringen. Am Kreuz Christi verschmelzen Gericht und Gnade.

Kreuzaufrichtung und Kreuzabnahme Christi (1632-1646), Rembrandt (Harmensz. van Rijn). Alte Pinakothek, München

Wie damals das Volk daran glaubte, dass das Blut des Lammes sie vor dem Tod bewahrt, so besteht auch heute der Glaube an das Blut Jesu Christi, als eines Lammes ohne Fehl und ohne Flecken – das einzige, was Gott zur Vergebung der Sünden annimmt.
Vom Alten Testament her gesehen deutet alles auf dieses bevorstehende Ereignis am Kreuz hin. Vom Neuen Testament her gesehen, blickt alles auf dieses bereits geschehene Ereignis am Kreuz zurück. Ein weiteres Ereignis, das damit zusammen hängt, liegt noch in der Zukunft: Das Jüngste Gericht.

Christen glauben, dass die Toten auferstehen werden und danach ein Gericht stattfinden wird. Viele stellen sich das so vor, dass in diesem Gericht schlechte Taten durch gute Taten aufgewogen werden und dann entschieden wird, ob jemand in die Hölle oder in den Himmel kommt. So ist es aber nicht. Das Alte Testament wie das Neue lehren (und auch unser Rechtssystem bildet dieses Prinzip ab), dass es nicht möglich ist, schlechte Taten durch gute Taten aufzuwiegen. Das einzige, was die Ägypter von den Israeliten in der besagten Nacht unterschied war das Blut des Opferlammes, von den Israeliten als Zeichen ihres Glaubens angebracht. Wie im Alten Bund mit dem Volk Israel Opfer zur Vergebung der Sünden gebracht werden mussten, so ist es auch im Neuen Bund. An diesem Prinzip hat sich nichts geändert. Nur ein Opfer kann die schlechten Taten (oder, allgemeiner, Sünden) aufwiegen. Denn auch unser Passah, Christus, ist geschlachtet, schreibt der Apostel Paulus an die Gemeinde in Korinth. Die Entscheidung, ob ein Mensch in dieses Gericht kommt, fällt nicht erst nach der Auferstehung, sondern jetzt. Wer daran glaubt, dass Jesus durch seinen Kreuzestod für ihn das Opfer vor Gott gestellt hat, kommt nicht ins Gericht. Wer nicht glaubt, ist schon gerichtet und wird verdammt werden.

Jahrhundertelang waren diese biblischen Ereignisse eine Inspirationsquelle für die Kunst verschiedener Gattungen und Genres, für Philosophen, Dichter und Denker, Maler und Musiker und für den schlicht Bibel-gläubigen Christen. Hören Sie in dem Vortrag heute Abend, ob dieser Glaube genauso wie die Gemälde, die wir betrachteten, ins Museum gehört oder heute noch lebendig und wahr ist.

Veranstaltungshinweis:
28.11.2016, 19:30 Uhr, Großer Sitzungssaal im Bürgerhaus Unterschleißheim, Franz Weber: Warum unbedingt Jesus?

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