Anlässlich der „Corona-Pandemie“ gab es unter frommen Menschen zu Recht viel Diskussion zum richtigen Verhältnis von „Christ + Staat“. Der Austausch war auf beiden Seiten nicht selten von starken Emotionen gekennzeichnet. Gerade jetzt – am hoffentlich baldigen Ende der schon länger nicht mehr als angemessen empfundenen Einschränkungen unserer Grundrechte – gilt es, sich nochmals auf das zu besinnen, was man aus dem NT selbst ableiten kann.

Die nachfolgenden „7 Thesen“ hält der Verfasser für eine biblisch ausgewogene Position:


  1. Christen leben in zwei Herrschaftsbereiche:

Christen leben im „Reich Gottes“ und gleichzeitig in konkreten, verfassten Staaten ihres Wohnsitzes (seien es Demokratien, Monarchien oder Diktaturen). Wiewohl ihr „Bürgertum“ im Himmel ist (Phil 3,20; vgl. Eph 2,12; Hebr 11,13), sind Christen dennoch qua Verfassung i.d.R. mit allen Rechten und Pflichten vollwertige Bürger ihres Landes.

Das „Reich Gottes“ transzendiert zeitlich die Geschichte von Schöpfung bis Weltvollendung sowie gegenwärtig alle Staaten und Herrschaftssysteme der Erde: es kumuliert schließlich in das „ewige Reich“ des Sohnes (2Petr 1,11; Kol 1,13), dem neuen Himmel und der neuen Erde (wo „Gerechtigkeit wohnt“; 2Petr 3,13).

  1. Die christliche Kirche ist nicht „von dieser Welt“:

Die örtliche Gemeinde ist Abbild der „universellen Kirche“: sie ist aus der Welt „herausgerufen“ und gehört wie das „Reich Gottes“ (Joh 18,36) und ihr Herr selbst (Joh 8,23) nicht mehr „dazu“ …

Gleichzeitig gehört die christliche Kirche von Ihrem Auftrag her, „Salz und Licht“ zu sein (Matth 5,13.14), nicht in den Hinterhof des Industriegebietes (hinter dem Aldi-Parkplatz), sondern in die Ortsmitte und auf den Marktplatz der Gesellschaft (in Bayern: Rathaus, Kirche, Maibaum und Gasthof). Ihre einzigartige Botschaft des „Evangeliums“ stellt sich offen dem Wettbewerb der widerstreitenden Idee und Philosophien. Sie hat nicht den Auftrag, sich ins Kloster zurückzuziehen!

Ihre Kernkompetenz besteht neben der Verkündigung von Gottes Wort darin, „Säule und Fundament der Wahrheit zu sein“ (1Tim 3,15) sowie das Evangelium in Wort und Tat (Diakonie) zu bezeugen. Sie hat keinen „erzieherischen“ (Kontroll-) Auftrag ggü. dem Staat. Vielmehr soll sie durch „gute Werke“ den „Schon-jetzt“-Charakter des Reiches Gottes ausdrücken und so Menschen für die gute Herrschaft Christi gewinnen (Matth 5,16; Titus 3,8.14; Röm 14,17; 1Kor 4,20; Gal 5,21; 1Thess 2,12; 1Petr 2,15-16.20f; Jak 3,13).

Kirche und Staat sind getrennt (vgl. das Ende von Ziff. 5).

  1. Der Staat und die ihm nachgeordneten behördlichen Strukturen:

Abgesehen von der Phase der direkten „Theokratie“ im AT, als Israel als Nation „Volk Gottes“ war, ist die Herrschaft Gottes über die Völker der Welt heute eine indirekte, die er u.a. durch die einzelnen Regierungen ausübt (die „Zeiten der Nationen“, Lk 21,24). Das „Reich Gottes“ hat keine räumliche Größe mit verfassten Grenzen, sondern verläuft „quer“ zu den Staaten dieser Welt (siehe oben, Ziff. 1).

Alle Regierungen sind von Gott „eingesetzt“ (Röm 13,1), sie sind Gottes „Dienerin“ und tragen das „Schwert nicht umsonst“ (Röm 13,4). Ihre Funktion ist es, dem Bösen zu wehren (Röm 13,3) und das Gute zu fördern. Eine Aufsichtsfunktion der Kirche über den Staat ist im NT nicht angezeigt; vielmehr sind Kirche und Staat getrennte Größen (Luther: „zwei Regimente“). Es gab und gibt keinen „christlichen Staat“! Der Staat wiederum hat abgesehen von behördlichen Formalien keinen inhaltlichen (Kontroll-) Auftrag gegenüber den örtlichen Gemeinden.

  1. Zusammenspiel von demokratischem Rechtsstaat und Christen / örtl. Gemeinden:

In einem demokratischen Rechtsstaat, wie in Deutschland, mit parlamentarischer Demokratie und Gewaltenteilung ist auch ein Christ Bürger dieses Staates und Teil des Zusammenspiels des Staates und der nachgeordneten Behörden.

Neben der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts übt der Christ seine Rechte ggü. dem Staat ggf. durch Gesprächsforen, Briefe, Petitionen, Öffentlichkeitsarbeit, Artikeln, Leserbriefen und Demonstrationen aus; auch die Klageerhebung steht ihm offen.

Die örtliche Gemeinde (bzw. ein konfessioneller Zusammenschluss von Gemeinden) nimmt als relevante Körperschaft ebenfalls an dem Beziehungsgeflecht mit dem Staat und seinen nachgeordneten Behörden teil. Eine Handlungsanweisung ggü. dem Staat, wenn er seiner Rolle nach Röm 13 nicht nachkommt, findet sich im NT jedoch nicht. Zur Wahrnehmung der persönlichen Rechte eines einzelnen Christen finden sich im NT einige wenige Beispiele (vgl. Joh 18,23; Apg 16,37; 22,25-29).

Das Vorgenannte schließt selbstverständlich nicht aus, dass der einzelne Christ seine persönliche Kritik schriftlich zum Ausdruck bringen darf (z.B. zu einer ethischen Frage) und diese auch den Regierenden zukommen lassen kann. Auch sind Positionspapiere von einzelnen Gemeinden oder Denominationen denkbar, um zum Schutz der Schwachen auf eine soziale Ungerechtigkeit hinzuweisen (z.B. bei der Abtreibung) oder die eigenen Rechte (z.B. Versammlungsfreiheit) einzufordern. Dies ist eine Erfahrung des 20. Jahrhunderts, die man dankbar annehmen sollte, gehört aber nicht zur eigentlichen Aufgabe einer Gemeinde nach dem Neuen Testament.

  1. Der Konfliktfall:

Ein „Recht“ des einzelnen Christen und der örtlichen Gemeinden, vom Staat als Rechtsperson bzw. Rechtskörperschaft im Sinne der Ziff. 4 wahrgenommen zu werden, findet sich im NT nicht. Die apostolischen Briefe wurden im 1. Jahrhundert unter der diktatorischen Weltmacht Roms verfasst. Im NT findet sich nur die Möglichkeit – unter Verweis auf die Gebote Gottes – der Anordnung des Staates / seiner Behörden ggf. den Gehorsam zu verweigern (Apg 5,29) und die sich ergebenden Konsequenzen zu erdulden.

Grund für „Widerstand“ des Christen gegen staatliche Autoritäten besteht immer / und nur dann, wenn ein fundamentaler „Wert“ (im Kontext von Apg 5,29: das Reden im Namen Jesu) verboten würde. Andere Beispiele wären ein allg. Versammlungsverbot (einfach nur weil man Christ ist), die verpflichtende Übernahme ideologischer, gesellschaftlicher Standpunkte, erzwungene Duldung von unethischem Verhalten oder falscher Lehre, etc. Ein mittelbarer Wert, wie etwa, ob die Steuer im Sinne einer christlichen Ethik verwandt wird, besteht im Kontext von Röm 13 ausdrücklich nicht (Röm 13,6-7). Aus der Soll-Beschreibung für den Staat leitet sich kein Aufruf zur Gegenwehr ab. Von daher findet sich im NT auch kein Hinweis auf einen „Tyrannenmord“ oder auf das „Einschreiten“ der Kirche gegen eine Regierung, die ihrer Verantwortung, das Gute zu fördern, nur unzureichend nachkommt.

Zwar bereitet Jesus seine Jünger realistischer weise darauf vor, dass „die Könige der Nationen“ über ihre Völker herrschen und dass die „Gewalt über sie üben“ sich gleichzeitig als „Wohltäter“ feiern lassen (Lk 22,25). Dem folgt aber kein Aufruf zum Umsturz, sondern das pointierte „Ihr aber nicht also!“ – die Apostel werden zu einer „Gegenkultur“ aufgefordert, in der gilt, dass „der Größte unter euch (…) wie der Jüngste und der Führende wie der Dienende“ sei (Lk 22,26). Unmittelbar darauf spricht der Herr vom kommenden Reich (Lk 22,29-30), wo die Apostel herrschen und richten werden: das aber ist bis heute einer zukünftigen Epoche vorbehalten …

Die „innerweltlichen Fragen“ sind nach Auffassung des Verfassers nicht das Hoheitsgebiet der christlichen Kirche oder des einzelnen Christen, auch wenn es dazu in der (Kirchen-) Geschichte viele widerstreitende Ideen gegeben hat und dies gerade in Deutschland vor dem Hintergrund des Versagens der Kirchen im „III. Reich“ ein sensibles Thema ist, das eine deutliche Zäsur in unserem Denken hinterlassen hat. Möglicherweise kommt eine Zeit, wo es gilt, die Reißleine von Apg 5,29 zu ziehen. Die Corona-Einschränkungen (so ärgerlich sie sind) können nicht dazu gezählt werden, wurde doch den Kirchen gem. der besonderen, verfassungsrechtlichen Stellung der „Religionsfreiheit“ bislang (bis zum 06.2021) mehr Rechte zugestanden als anderen Einrichtungen im Bereich der Gastronomie, Kultur und des Veranstaltungswesens. [1]

Dankbar liest man heute die mutige „Barmer theol. Erklärung“ (1934); These V: [2]

  • Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne der Staat über seinen besonderen Auftrag hinaus die einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens werden und also auch die Bestimmung der Kirche erfüllen.
  • Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne sich die Kirche über ihren besonderen Auftrag hinaus staatliche Art, staatliche Aufgaben und staatliche Würde aneignen und damit selbst zu einem Organ des Staates werden.

Im Konfliktfall von ‚Christ + Staat‘ gilt in Summe das Wort des Apostels an die jungen Jesusnachfolger in Süd-Galatien (Lystra, Ikonion und Antiochia, Apg 14,22),

  • dass wir durch viele Bedrängnisse in das Reich Gottes hineingehen müssen
  1. Ein christlicher Lebensstil:

Abgesehen von einzelnen Christen, die von Gott eine individuelle Berufung in den politischen Raum erhalten, sind Christen im Allgemeinen dazu aufgerufen ihre gesellschaftliche Verantwortung dadurch wahrzunehmen, dass sie als örtliche Gemeinden ein Vorbild an christlicher Nächstenliebe sind, das Evangelium im Wort und guten Werken bezeugen (1Petr 2,20, Tit 2,14), die apostolische Lehre bewahren (1Tim 6,20; 2Tim 1,14) und zeitgemäß zum Ausdruck bringen.

Im Gebet bestürmen sie den Himmel für Stadt und Land und sorgen sich umfassend für das „Heil“ der ihnen anvertrauten Menschen. Dazu bilden sie sich gegenseitig aus und bringen das Evangelium ganzheitlich unters Volk. Politische Fragen hingegen entsprechen weder der Kompetenz noch dem Auftrag christlicher Gemeinden und sind darum neutral zu behandeln. Jeder Christ ist frei in seinen politischen Präferenzen. Allgemeingültige, christliche Standards zur Ethik werden in Predigt, Lehre und Publikation veröffentlicht und ggf. auch dem Parlament und der Exekutive angeboten.

  1. Ein ultimatives Vorbild:

Neben Römer 13 (Apostel Paulus) findet sich in 1Petrus 2 die Position des Apostel Petrus zu dem Verhältnis von „Christ + Statt“ (1Petr 2,11-17). Ausgerechnet in diesem Zusammenhang finden wir die Aufforderung „durch Gutes tun die Unwissenheit der unverständigen Menschen zum Schweigen“ zu bringen (2,15) sowie den Verweis auf das ultimative Vorbild unseres Herrn selbst (1Petrus 2,21-23):

Denn hierzu seid ihr berufen worden; denn auch Christus hat für euch gelitten und euch ein Beispiel hinterlassen, damit ihr seinen Fußspuren nachfolgt; der keine Sünde getan hat, auch ist kein Trug in seinem Mund gefunden worden, der, geschmäht, nicht wieder schmähte, leidend, nicht drohte, sondern sich dem übergab, der gerecht richtet


SDG

Artikel als pdf: Sieben_Thesen

Verweise auf brink4u:

Anmerkungen:

  • [1] Das hat sich in Bayern mit der PK des bayr. MP, vom 04.06.2021 (vgl. 13. BayIfSMV) gedreht: Seitdem sind bei entsprechender Inzidenz private Feiern mit 50 Personen (indoor) erlaubt, Chöre dürfen mit unbegrenzter Teilnehmerzahl (so lange der Platz reicht) ohne Maske proben, 10 Personen dürfen sich unabhängig von der Anzahl der Haushalte ohne jegliche Auflagen und Regelwerke treffen und zur EM dürfen in München 14.000 Fans der Nationalmannschaft zujubeln; Gottesdienste bleiben dahinter zurück!
  • [2] vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Barmer_Theologische_Erkl%C3%A4rung

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